Als Wehrwolf auf dem Bober: Sagan 1851 / Zagan 2005
Der Tag beginnt trist. Stille hüllt unser kleines Lager ein. Über Wiese und Fluss schwebt ein dichter Nebelschleier, der alles in Nässe taucht.Das gefällt den Mücken und sie fallen trotz des feinen Sprühregens stumm und in noch größeren Massen als gestern Abend über uns her.
Im Nebel
Unsere Sachen packen wir im Schutz von Zelt und Strandmuschel ein. Zuletzt stopfen wir die klammen Nylonhäute in einen separaten Packsack. Nach dem Frühstück haben sich die Wolken noch dichter zusammengezogen und als wir ablegen, beginnt es zu regnen. In steifer Regenmontur lenken wir die Boote auf die schnellströmende Flussmitte. Das grüne Auenland, triefend nass und in keiner Weise an den gestrigen Sommerabend unter sternenklarem Himmel erinnernd, verschwindet hinter uns im Nebel.
Nasse Welt
Auf dem Wasser ist es angenehm. Der feine Sprühregen legt sich auf alles, was nicht in den Booten verstaut ist, aber in den Booten ist es warm und gemütlich. Die Welt um uns herum trieft vor Nässe. Es tropft von den umstehenden Erlen herab. Auf der Wasseroberfläche bilden sich faszinierende Muster von den feinen Wassertropfen und der Wasserspiegel ist in den unterschiedlichsten Facetten aufgeraut. Das ergibt ein fortwährendes Wechselspiel von hellen und dunklen Flecken auf dem Wasser, die mit uns von der Strömung getrieben werden.
River-Road
Der Fluss hat sich in einen helldunklen Fleckenteppich ohne Spiegelbild verwandelt. Er gleicht dadurch einer von Teerflicken übersäten Asphaltstraße, die durch den wilden Auwald führt. Am Ufer verstärken weiße Birkenstämme den Kontrast von Hell und Dunkel, so dass es den Anschein hat, dass wir in einer Schwarzweiß-Welt unterwegs sind, in der unsere Regenjacken mit ihrem grellen Gelb und Rot die einzigen Farbtupfer sind.
Spießrutenlauf
Aus dem monochromen Schleier heraus werden, noch blass und zart, Farben erkennbar. Sie gehören zu einer kleinen Ortschaft, an deren Flussseite ein Wehr liegt. Geradeaus führt am linken Ufer ein kleiner Nebenarm ins Dorf. Der Bober selbst wird hinter dem Wehr nach rechts in den Wald weggeführt. Pünktlich zum Ende des Regens legen wir an und steigen aus den Booten. Wir haben, unter unserem Gummizeug schwitzend, die Boote bereits bis zur Dorfstraße vorzogen, als wir bemerken, dass es nicht mehr regnet. Ungläubig legen wir unsere Regenjacken ab, was die Mücken sofort mit heftigen Attacken quittieren. Der in den Regensachen angestaute Mief zieht sie an und der Weg durchs Dorf wird zu einem Spießrutenlauf, so dass wir bald wieder unsere Regensachen anziehen, obwohl es nicht noch einmal zu regnen begonnen hat.
Alte Steine
Der kleine Weg neben dem Fluss besteht aus Pflastersteinen, Teerflicken und Sand zugleich. Jeder Meter ist neu und anders. Das Dorf ist ganz still und nimmt keine Notiz von uns. Zwischen grauem Putz strahlen vereinzelt grelle Fassaden mit giftigen Farben hervor, die es leicht mit dem modischen Chick unserer Regenjacken aufnehmen können. Insgesamt macht das Dorf keine besondere Lust auf eine nähere Begegnung. Alles wirkt gewöhnlich und durchschnittlich, aber trotzdem strahlt der Ort etwas Faszinierendes aus. Hier begegnen uns unübersehbare Zeichen der Zeit. Überall gibt es Dinge zu entdecken, die nicht in die Gegenwart gehören: Alter Backstein und brüchiger Stuck sind hier noch unangetastet und unrestauriert.
Über allem herrscht eine alte Anordnung von Straßen und Häusern. Mitten in dieser Szenerie stehen wir als Durchreisende – unbemerkt – und können das Fatale dieses Ortes spüren, wo schmucklose Neuzeit und reizvolle Vergangenheit dicht beieinander liegen. Ich empfinde dies als eine Art Metapher des Lebens, die sich hier vor uns wie ein gewaltiger Abgrund auftut.
Tagtraum
Gedankenverloren lehne ich mich etwas vor und sehe in die Tiefe: Auf dem schmalen Weg kommt eine kleine Gruppe von kleinwüchsigen Menschen heran. Sie gehen lautlos vorüber. Das Mädchen aus der Mitte der Gruppe mustert mich mit misstrauischen Blicken. Unsere Blicke begegnen sich. Sie schaut mir fest und geradewegs in die Augen und ich kann nicht wegschauen. Plötzlich ist mir so, als stehen nur wir beide uns gegenüber. Der Ausdruck ihrer Augen, den ich zuvor noch als misstrauisch deutete, scheint mir nun ein anderer zu sein. Sie lächelt spöttisch und ihre Augen fragen mich, wieso das, was ich zu wissen meine, alles sein soll auf dieser Erde – Schaue hin und erkenne, die Zeit ist mehr als ein Damals und Heute! Dann ist alles vorbei und der Abgrund schließt sich. Wieder aufwachend, sehe ich noch eine kleine Gruppe von Menschen, die sich von uns entfernt.
Alles in Allem
Für kurze Momente lugt zaghaft die Sonne zwischen den Wolken hervor. Ihre Strahlen durchbrechen den Dunstschleier und berühren die Erde. Wir ziehen die Boote abwechselnd an einer Kaimauer entlang und kommen dabei an einem verlassenen Wirtschaftsgelände vorüber. Aus den Augenwinkeln nehme ich die kahlen Mauern einer Ruine wahr. Vom Backstein blättert der Putz und Efeu klettert in die hohlen Fensterausschnitte. Es sind hohe, romanische Fenster, an die sich ein alter geschlossener Industriebau anschmiegt. Er besitzt dieselben geschwungenen Fensterbogen wie das ausgewaschene Mauerwerk des alten Schlosses, das es zweifellos einmal gewesen sein muss. Alles vermischt sich hier und findet sich in allem wieder.
Dünnes Licht
Als wir die Boote in einer steilen Sandbucht am Ende des Dorfes wieder zu Wasser lassen, meint Mark mit felsenfester Überzeugung, dass wir vorhin auf der Straße Zigeuner getroffen hätten. Ich weiß nicht, ob das so war, aber auch ich hatte etwas gesehen. Wir sind niemandem sonst begegnet in diesem Dorf. Es liegt jetzt hinter uns in einem dünnen Licht. Die durch den Nebel brechende Sonne verleiht dem Ort etwas Mystisches. Das Wasser vor uns hingegen schimmert freundlich im Licht und lädt uns zum Ablegen ein.
Grüner Dunst
Der Fluss ist unruhig und bewegt. Sein Wasser schiebt uns schnell hinaus ins Grüne. Nach einer engen Flussbiegung wird der Fluss plötzlich breit. Nebel liegt über dem Wasser und hüllt das Spiegelbild des angrenzenden Waldes in einen verwunschenen Dunst, der sich allmählich auflöst. Ruhe legt sich auf unsere Gemüter. Wir fühlen die Anspannung der letzten Tage von uns abfallen und Gelassenheit macht sich in uns breit. Ich genieße es zum ersten Mal auf dieser Tour, im Boot sitzend zu fotografieren, während wir nebeneinander hertreiben.
Klare Verhältnisse
Wir erwarten jeden Augenblick den Zufluss des Queis, der mit nahezu der gleichen Größe und Abflussmenge wie der Bober die entscheidende Wendung auf unserem Weg bringen muss, denn wir gehen davon aus, dass die doppelte Menge Wasser im Flussbett eine Entschärfung der Verhältnisse mit sich bringen wird. Der Nebel löst sich endgültig im Sonnenlicht auf und die Sicht wird klar. Wir halten aufmerksam Ausschau nach dem Nebenfluss, doch stattdessen taucht ein neues Wehr am Horizont auf.
Als wir die Boote auf eine Insel ziehen, die der Umflutkanal eines Wasserkraftwerks vom festen Ackerland trennt, scheint bereits wieder die pralle Sonne auf uns nieder. Schwitzend schaffen wir die Boote hinunter auf eine Sandbank hinter dem Wehr. Dabei plagen uns die Mücken auf so unerträgliche Weise, dass wir beschließen, ein weiteres Mal unseren Badetrick auszuprobieren. Er funktioniert, und nachdem wir frisch gebadet am Ufer sitzen und uns ein bescheidenes Mittagsmahl aus der Dose zubereiten, kann uns tatsächlich für kurze Zeit keine Mücke mehr riechen.
Blaue Steine
Während des Essens stellen wir zweierlei überraschende Dinge fest: Zum einen, und das war für sich genommen schon kurios genug, sind jetzt lauter blaue Steine im Flussbett verteilt. Sie sind mal klein oder groß, hell- oder dunkelblau, und sie heben sich auffallend von den rundgewaschenen Backsteinziegelresten im grauen Kiesgemisch ab.
Geheimnisse
Da sie uns nun einmal aufgefallen sind, entdecken wir immer mehr von ihnen. Sie liegen überall im Flussbett und uns ist unklar, wie es möglich ist, dass wir sie bisher übersehen hatten. Wir wissen nicht, seit wann sie uns schon begleiten und wie sie hierher gekommen sind. Wegen der darin eingeschlossenen Luftbläschen vermuten wir in ihnen die Überreste eines Schlackeprodukts aus der Industrie. Aber wir sind ahnungslos und haben keine Idee, welche Industrie solche Überbleibsel hinterlässt. Zumindest müssen die harten, blauen Klunker schon alt und ein Stück weit von stromauf gekommen sein; genauso wie die Backsteinkiesel, denn hier um uns herum hat es bestimmt nie etwas anderes als Wald und Acker gegeben. Doch soviel wir auch grübeln, die blauen Steine geben ihr Geheimnis nicht preis.
Fluss-Gezeiten
Dann ist da noch etwas Ungewöhnliches. Erschrocken springe ich plötzlich auf, weil mein Boot beinahe davonschwimmt. Es liegt gefährlich weit im Wasser. Doch ich bin mir sicher, es zuvor weit genug auf den Sand gezogen zu haben. Wenn ich tatsächlich recht habe, dann kann dies nur eines bedeuten: Und richtig, bald erkennen wir, wie der Wasserspiegel unterhalb des Wehres unvermittelt ansteigt und kurz darauf wieder fällt. Wo eben noch ein meterbreiter Uferstreifen war, schwappt plötzlich Wasser. Was wir schon eine ganze Weile ahnten, ist damit zur Gewissheit geworden: Wir sind auf einem eigensinnigen Fluss unterwegs.
Kwisa
Die Weiterfahrt geht schnell und unproblematisch vonstatten. Die Strömung zieht uns stromabwärts und bald taucht die Mündung des Queis, heute auch Kwisa genannt, in einer scharfen Rechtskurve auf. Dieser Fluss ist dem Bober ebenbürtig. Er bringt einen kräftigen Schwall aus dem Isergebirge heran und drückt sein Wasser in das breite Flussbett. Das verursacht einen Schweif an der Mündung, dessen Wellen uns noch eine kleine Strecke begleiten, bis ihr Schwappen allmählich verebbt.
Freie Fahrt
Die drastisch erhöhte Abflussmenge macht den Bober keineswegs ruhiger. Er strömt weiterhin ungestüm wie am ersten Tag und wuchtet gegen die steilen Uferhänge. Doch nun ist der Bober erstmals breit genug, um uns trotz der vielfältigen Hindernisvariationen immer einen Durchgang freizuhalten. Selbst die Sohlschwellen unter den Brücken sind dank des vielen Wassers nun weich genug, dass wir sie trotz des vielen Gepäcks problemlos abreiten können.
Städtchen am Abend
Die Sonne strahlt vom makellos blauen Himmel und befindet sich bereits auf ihrer absteigenden Runde, als unvermittelt der Wald endet und ein Wehr am rechten Ufer auftaucht. Wir sehen, dass der Fluss in einem weiten Rechtsbogen in eine Ortschaft hineinführt und entscheiden uns dafür, weiterzufahren. Mit jedem Paddelschlag gelangen wir weiter in den Flussbogen und erkennen allmählich die ersten Ausläufer einer Ortschaft. Es erscheinen nach und nach mehrere Häuser, vor denen Angler am Ufer sitzen und ihre Köder ins Wasser halten. Der Fluss ist mittlerweile ruhig und beinahe strömungslos geworden. An das rechte Ufer ist nach und nach ein Städtchen herangetreten.
Der Bober ist nun zahm und an seinen Ufern lassen Trauerweiden ihre Äste ins Wasser hängen. Angesichts dieses friedlichen Bildes befürchten wir ein weiteres Wehr. Erwartungsgemäß stemmt es sich mit beeindruckender Größe am unteren Ende des Flussbogens gegen das Wasser. Daneben liegt ein Wasserkraftwerk und im Vordergrund drängt sich dichter Verkehr über eine Straßenbrücke. Beim Anblick dieser regen Betriebsamkeit erwacht in uns die Hoffnung, dass es sich bei dieser Stadt um Zagan, die einstige schlesische Adelsresidenz Sagan und zweite bedeutende Zwischenstation auf unserer Strecke handelt.
Boote zwischen Weiden
Wir legen am rechten, wurzelgesäumten Ufer vor einem verträumten Backsteinbau mit alterwürdiger Ausstrahlung an. Dabei scheuchen wir einen Angler auf, der schmollend mit Rute und Eimer das Weite sucht. Sogleich begeben René und ich uns auf Erkundungstour und lassen Mark in einem harmonischen Bild von Booten zwischen Weiden am Wasser zurück. Wir steigen dem Angler hinterher über eine schmale Treppe in den Innenhof des angrenzenden Gebäudekomplexes.
Sagan 1851
Dort steht eine Kirche. Überall windet sich Efeu an den Wänden empor und in einer alten Inschrift am Giebel steht in alten Lettern geschrieben, dass es sich bei den uns umgebenden Gebäuden um das Herzogin-Dorothea-Stift zu Sagan von 1851 handelt. Am Ausgang des Hofes steht eine Rotbuche, die noch viel älter als diese Bauten ist. Mit seinem ausladenden und bis zum Boden reichenden Blätterdach nimmt dieser stolze Baum fast den gesamten Vorplatz des Stiftsgeländes ein. Der Angler ist verschwunden. Seiner statt parkt in der Straßenzufahrt ein Krankenwagen, der verrät, dass hier jetzt eine Notfall-Ambulanz untergebracht ist.
Verkehrsregeln
Kaum haben wir einen Fuß auf die Straße gesetzt, werden wir beinahe vom Verkehr erfasst. Wir haben es ganz vergessen: Zebrastreifen sind hier nicht mehr als ein formales Zugeständnis an die Fußgänger, das man in Polen nicht zu ernst nehmen sollte. Noch verunsichert von der Hektik des Feierabendverkehrs laufen wir zur Brücke vor. Es ist eine zierlose Betonkonstruktion, die sich von einem Ufer zum anderen erstreckt. Rechts von ihr befindet sich das monströse Wasserkraftwerk.
Brücken
Hinter der Brücke liegt allerdings noch kein Festland; es handelt sich lediglich um einen vom Flussbogen inselartig eingefassten Landflecken, der durch einen kanalisierten Flusslauf vom Ufer getrennt ist. Am oberen Ende des Kanals liegt jenes Wehr, das wir vor einer halben Stunde noch siegesgewiss umschippert hatten. Wir sind verdutzt darüber, wie wenig wir seitdem vorangekommen sind. Nach der langen Weiterfahrt auf dem Flussbogen wähnten wir uns eigentlich schon ganz woanders.
Begegnungen
Wir schauen uns um und begegnen hübschen Mädchen. Sie ignorieren uns entweder mit einem betont in die Ferne schweifenden Blick, oder sie lassen sich von unserer legeren Paddlermontur nicht abschrecken und wagen einen Blick und mustern uns mit einem verschmitzten Lächeln. Wir bemühen uns darum, uns weiterhin wie Durchreisende zu verhalten und bleiben nicht stehen.
Über den Kanal führt eine weitere Brücke, diesmal aus einer blauen Stahlkonstruktion. Flussabwärts hinter dem Wehr dehnt sich der Bober aus wie ein See. Er ist so breit, dass er der Stadtsee von Sagan zu sein scheint. An beiden Ufern ist er von einer weitläufigen Parklandschaft umgeben, die ihr Übriges zu diesem Eindruck beiträgt.
Kein Rauch mehr in Zagan
Von der Brücke haben wir einen guten Blick stromabwärts. Was wir dort sehen, macht uns jedoch fassungslos. Circa einen Kilometer flussabwärts befindet sich ein weiteres Wehr, vor dem ein weiterer Kanal rechts in ein Industriegebiet abzweigt. Die Industrie ist nur noch ein Relikt, ähnlich alt und verlassen wie in Sprottau. Keiner der Schlöte raucht mehr.
Stromaufwärts
Doch dieses zweite, flussabwärts gelegene Wehr zeigt auf den ersten Blick, dass es dem zuvor Passierten an Größe und Unbequemlichkeit in Nichts nachsteht. In jenem Moment, als wir das begreifen, entscheiden wir uns einstimmig dafür, beide Wehre möglichst mit einem Mal zu umtragen. Dafür ist es sinnvoll, die engen, gefährlichen Straßen zu umgehen. Also paddeln wir den Flussbogen zurück, um direkt auf die Insel zu kommen. Die Strecke kommt uns jetzt viel länger vor. Die Angler kennen uns nun schon und wundern sich nicht mehr, als wir uns mit sichtlicher Mühe stromaufwärts schaufeln.
Zwischen Fluss und Kanal
Nach einer weiteren halben Stunde legen wir unmittelbar neben dem Wehr zum Kanaldurchlass auf einer schmalen Sandbank an. Ohne eine Pause einzulegen, schaffen wir sofort die Boote auf die Insel zwischen Fluss und Kanal, und während René und Mark die Boote zur Straßenbrücke bringen, mache ich mich auf den Weg, um eine bootstaugliche Route bis hinter das zweite Wehr zu finden.
Seitenwechsel
Mit Erfolg; es gibt einen angenehm schattigen Waldweg, der durch die Parkanlage bis zum unteren Wehr führt. Als einzige Herausforderung bleibt uns dabei noch, die langen, unhandlichen Boote über die Brücke und zur gegenüberliegenden Straßenseite zu bekommen. Die Autos dafür anzuhalten, wäre ein zweckloser Versuch; diesbezüglich hatten wir ja schon am Zebrastreifen unsere Erfahrungen gemacht. Aufmerksam beobachten wir den Verkehr und entdecken tatsächlich hin und wieder geeignete Lücken, um Mensch und Material heil auf die andere Straßenseite zu bringen.
Waldspaziergang
Endlich stehen wir wohlbehalten mit Sack und Pack am Eingang zu einem lauschigen Wäldchen und können damit beginnen, Gepäck und Boote im rotierenden Wechsel ins Grüne zu schaffen. Zu diesem Zweck schnallen wir zu zweit ein Boot auf den Bootswagen und der Dritte trägt zur gleichen Zeit das Gepäck hinterher, das zwischendurch an weithin überschaubaren Strecken zwischengelagert wird. Somit hat ständig einer von uns das Gepäck im Blick, während die anderen das zweite Boot nachholen. Dabei wechseln wir uns ständig ab und es kommt wiederholt vor, dass der Einzelne von uns auf verwunderte Spaziergänger trifft, deren ratlose Mienen verraten, dass sie sich einen vollbepackten Wilden so allein im Wald nicht erklären können. Dieser kritische Gesichtsausdruck entschärft sich immer erst dann, wenn die Nachzügler mit den Booten auftauchen und die wahren Absichten erkennen lassen.
Unterhaltung für Paddler
Noch viel unterhaltsamer aber ist es, dass wir uns immer gegenseitig auf der langen Waldstrecke begegnen, denn einer von uns läuft immer zurück, um etwas nachzuholen, während die anderen stromabwärts stapfen. Bei diesen Begegnungen können wir uns ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen und begrüßen uns jedes Mal aufs Neue in den komischsten und überraschendsten Variationen und tun so, als wenn wir uns noch nie zuvor begegnet wären.
Insgesamt erleben wir also einen angenehmen Waldspaziergang. Große Buchen schützen uns vor der Sonne und hüllen uns in Dämmerlicht. Ab und zu erhaschen wir zwischen dem Laubdickicht einen Blick auf Wallensteins Schloss am gegenüberliegenden Ufer. Zuletzt führt der Weg auf einem steilen Pfad direkt neben dem Wehr zu einer Sandbank hinunter. Die Sonne steht schon tief.
Malerisch
Ein Blick stromabwärts offenbart das heile Bild eines zwischen malerischen Sandbänken hin und her geschwungenen Flusses, der dem gleißend-roten Schein der Abendsonne entgegenmäandert. Davor schreitet ein Angler am Rande der Sandbank entlang und lässt die Sehne übers Wasser schweben. Der Fluss ist hier unten wieder flach und wild, obwohl ein großer Teil des Wassers oberhalb des Wehrs durch das alte Industriegebiet der Stadt geleitet wird.
Wechselspiel
Das Wasser eilt mit Schaumkronen vom Wehr weg. Wieder steigt und fällt der Wasserspiegel schnell aufeinander; ein Wechselspiel, dass wir nun schon kennen und deshalb unsere Boote weit genug weg vom Wasser ablegen, um noch einmal kurz im Sprudelwasser zu baden und uns den Schweiß des letzten Waldspaziergangs abzuspülen. Dabei entdecken wir abermals die „Blauen Steine“ neben vielen rundgewaschenen Ziegeln im Sand. Beides scheint immer in auffälliger Weise gemeinsam aufzutreten.
Abendstunde in Zagan
Die Sonne senkt sich nun schon hinter die Baumwipfel. Es ist an der Zeit, aufzubrechen. Wir schieben die Boote in die Strömung und treiben schnell der Abendsonne entgegen. Von der Stadt ist kaum noch etwas zu sehen. Wir wähnen uns bereits wieder in wilder Umgebung, doch dann bemerken wir die vielen Menschen, die überall gut getarnt an den Ufern sitzen und uns still hinterher schauen. In Zagan ist jetzt die Stunde der Angler.
Super-Shopping
Bald kommt auch der Stadtlärm wieder näher und wir erreichen eine belebte Stadtbrücke, die offensichtlich zwei Stadtteile miteinander verbindet. Auf beiden Seiten des Flusses stehen alte und neue Gebäude. Ein Gebäude, das den neuzeitlichen Anspruch an einen schnöden Funktionsbau ganz und gar erfüllt, erregt unser Interesse. Es ist ein Supermarkt und wir können direkt daneben anlegen. Allerdings gibt es keinen Hafen und wir haben Mühe, die Boote in der starken Strömung am Ufer zu halten, während Mark Brötchen und Milch holt.
Dämmerstunde
Schon bricht die Dämmerung herein und ich werde ungeduldig und beginne zu drängeln. Einen Laden mit langen Öffnungszeiten kann man in Polen immer finden, aber ob das auch für Lagerplätze in Stadtnähe zutrifft, bin ich mir nicht sicher. Als Mark endlich mit einem dicken Einkaufsbeutel zurückkommt, verlassen wir eilig die Stadt. Es dunkelt bereits, so dass wir bald anlegen müssen. Hinter einer kleinen Flussbiegung, kaum außerhalb der Stadt, finden wir am linken Ufer eine Art Badestelle. Der kleine Flecken Strand ist einladend genug, und so zögern wir nicht und zerren unsere Boote auf eine wildbewachsene Wiese.
Endlich Land unter den Füßen. Jetzt muss alles möglichst zügig gehen. Die Arbeitsteilung ist schnell klar. Während Mark sich auf Holzsuche begibt, bauen René und ich im letzten Dämmerlicht das Lager auf. Dafür wählen wir eine Anhöhe direkt neben dem Fluss.
Suche im Dunkeln
Als René mit dem ersten herumliegenden Holz ein Feuer entfacht, stolpere ich Mark hinterher und helfe ihm beim Holzsuchen. Das entpuppt sich trotz eines nahen Waldes als nicht ganz einfach, denn das umliegende Terrain ist eigenartig aufgeräumt und in der Dunkelheit können wir darüber hinaus nicht mehr viel sehen.
Nachdem der Holzhaufen eine leidliche Größe erreicht hat, finden wir uns am Feuer bei René ein, der das Abendessen vorbereitet. Erst jetzt finden wir Zeit, um uns richtig umzuschauen.
Hunde von drüben
Etwas entfernt am gegenüberliegenden Ufer stehen einige Häuser, die wir wegen ihres matten Lichtscheins erst jetzt wahrnehmen. Die Hunde von dort drüben haben uns jedoch längst bemerkt und bellen noch eine ganze Weile. Als es auf der anderen Uferseite still wird, hören wir deutlich die Geräusche einer vielbefahrenen Straße in der Nähe. Wir entdecken sie circa zweihundert Meter von unserem Lager entfernt. Sie muss groß sein, denn es rollen viele LKWs vorbei. Das Licht der Scheinwerfer ist nur am rechten Rand der Wiese zu sehen. Das Übrige schirmt das nahe Waldstück zwischen Wiese und Asphalt ab.
LKW im Feuerschein
Trotz dieser kleineren Makel ist der Platz beinahe perfekt für diesen Abend. Wir grillen über einem illustren Lagerfeuer und sind mit unserem Schicksal zufrieden. Hinter uns dröhnt das Geräusch der LKW über die Wiese und vor uns liegt der Fluss im glitzernden Feuerschein. Diesen Kontrast lassen wir uns gerne gefallen, haben wir heute doch die zweite größere Stadt auf unserer Strecke passiert. Damit sind, wie wir meinen, die kritischsten Passagen überstanden.
Insel im Nebelmeer
Nach dem Essen gibt es eine weitere Ration Weingummis. Derart vollgestopft fühlen wir uns erschöpft und müde. Das Brummen der Straße wird nach und nach weniger und tritt bald nur noch in kurzen Intervallen auf. Zwischen den Pausen herrscht Stille über dem Land. Nebel im Mondlicht zieht an unser kleines Lager heran. Er steigt aus der tiefer gelegenen Wiese auf, von der unser kleines Lager umgeben ist und nun wie eine Insel im Nebelmeer aussieht.
Mädchenträume
Die Luft wird klamm und die restliche Glut kann die Feuchtigkeit nicht mehr von uns fernhalten. Wir verziehen uns bald ins Zelt, und auch ich ziehe heute das mückenfreie Etablissement dem Schlaf unter freiem Himmel vor. In dieser Nacht möchte ich unbedingt durchschlafen, denn ich fühle an diesem Abend die letzte kurze Nacht und einen langen Tag in meinen Knochen. Alles verspricht einen tiefen, festen Schlaf, und der ein oder andere von uns wird in dieser Nacht wohl von Saganer Mädchen träumen.
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