Reportage: Hart an der Grenze, Tag 1

Auf der Neiße: Das Ende der Zivilisation

Noch vor Aufhebung der Grenzkontrollen an der deutsch-polnischen Grenze haben wir uns daran versucht, die Neiße von ihrem böhmischen Oberlauf bis ins schlesische Tiefland mit dem Kajak zu bewandern. Es wurde eine Woche hart an der Grenze.

Fast zufällig kreuzte die Neiße an einem kalten Winterabend meinen Weg, ich auf der Brücke und sie unter mir zwischen schneebedeckten Wiesen dahinziehend. Ich war nicht auf diese Begegnung gefasst und hatte eigentlich genug andere Dinge zu tun, als mich wild-romantischen Paddel-Träumereien hinzugeben. Aber da lag sie nun einmal vor mir, kalt und halb vereist, und weckte in mir eine Sehnsucht von einem heißen Sommer auf der Neiße. Dieses Gefühl wurde ich nicht mehr los und ich erzählte davon und hatte bald Verbündete gefunden. Dabei schien die Idee zu dieser Flussfahrt nicht einmal sehr originell zu sein, doch die Abenteuerlust packte uns fest und lockte stetig zur Tat – zu reizend waren die Aussichten auf ein Stück unentdeckte Paddleridylle. Also gaben wir der Versuchung nach und ließen uns auch nicht von den schwierigen Vorbereitungen mit den Grenzbehörden aufhalten. Letztendlich war die Logistik geklärt, die Behörden überzeugt und der Hochsommer gekommen. Alles ließ auf ein gutes Gelingen hoffen. Als verwegenes Doppel brachen wir in die wilde Welt der Neiße auf, und so bleibt uns an dieser Stelle nichts weiter übrig, als der Nachwelt dies hier zu berichten.

Ein sonniger Julitag

Es ist ein sonniger Julitag, wie er schöner nicht sein kann, als es endlich soweit ist. Wir fühlen uns großartig; alles ist im Kofferraum verstaut und der Wagen rollt über flimmernden Asphalt Richtung Süden. In Görlitz kommen wir der Neiße erstmals entscheidend nahe und können schon ein paar hastige Blicke auf den Fluss werfen; der Glanz des Wassers macht uns jetzt schon unruhig. Aber auch der Hunger ist ein starkes Gefühl, und wir stoppen bei einem Imbiss am Straßenrand.

Ahnungsloser Optimismus

Hinter Görlitz schmiegen sich sanfte Hügel eng an den Fluss und betten die Neiße in ihren Schoß. Vor uns liegt schlesische Landschaft unter tiefblauem Himmel. Angesichts der beachtlichen Höhe der Landschaft entscheiden wir uns beim Kloster Marienthal für eine erste Begutachtung von Flussbett und Wasserstand. Die Neiße zeigt sich schmal aber lebendig. Das sommerliche Niedrigwasser weckt in uns noch keine ernsthaften Zweifel an der Paddeltauglichkeit dieses Abschnittes. Dank unseres ahnungslosen Optimismus wollen wir jedes frühzeitige Einsetzen vermeiden und eine Befahrung der Neiße ab dem frühestmöglichen Punkt. Was wir suchen ist der Abschnitt, wo der Fluss vom Unbefahrbaren ins mäßig Befahrbare wechselt.

Von allen guten Geistern verlassen

Also wollen wir weiter suchen. Von allen guten Geistern verlassen, fahren wir nach Zittau und fädeln uns hinter der Grenze auf engen Wegen im Neiße-Tal Richtung Liberec/Reichenberg hinauf. Dabei passieren wir mehrere kleine Dörfer am Fluss, die jetzt schon im Schatten der Berge liegen. Gegen Abend finden wir endlich ein abgeschiedenes Tal-Stück am Wasser, das uns wegen seiner Einsamkeit passend für den Beginn unseres Abenteuers erscheint. Am Ende eines versteckten Waldweges laden wir das Boot und einen großen Haufen Proviant aus, wozu noch ein bescheidenes Mindestmaß an Ausrüstung kommt. Unser Fahrer macht sich umgehend und ohne viel Aufhebens auf seine nächtliche Heimfahrt; doch er spricht davon, zuvor wenigstens noch einen Kasten tschechisches Bier an Bord zu nehmen, um das Leergewicht des Wagens wieder etwas auszugleichen. Was dort nun fehlt, breitet sich klobig vor unseren Füßen aus; von diesem Berg eingeschüchtert, werden wir fast etwas kleinlaut. Wir verabschieden uns herzlich und das Geräusch des Wagens verliert sich schnell in der Ferne.

Das Ende der Zivilisation

Um uns breitet sich Sommerabendstille aus und ein Schlagbaum markiert das Ende der Zivilisation.
Dahinter öffnet sich ein ebenes Tal, welches rundum von jäh ansteigenden Bergwänden begrenzt ist, hinter denen sich die Abendsonne schon zurückgezogen hat. Vor uns liegt eine Wiese im Dämmerlicht. Die warme Abendluft belebt uns und der Duft allerlei Blüten schwebt über der Erde. Dazu ist die Luft von pausenlosem Zirpen erfüllt. Im hüfthohen Gras raschelt das Leben und hüpft zu allen Seiten auf Schritt und Tritt.

Nachtlager

Einige hundert Meter weiter im Tal finden wir auf einer Art Halbinsel in einer Flussbiegung einen guten Zugang zum Flussbett. Für heute Abend scheint uns dieser Flecken am sinnvollsten zum Lagern, da hier das logistische Hin und Her am nächsten Morgen nur kurz wäre. Dort wollen wir heute Nacht bleiben, doch zuvor müssen wir unseren Gepäckberg dorthin schaffen, der noch am Taleingang auf uns wartet. Die hereinbrechende Dunkelheit kündigt die Nacht an, und wir wissen, dass wir uns jetzt beeilen müssen. Für den Transport richten wir mehrere Zwischenstationen ein, um unser Gepäck immer im Auge zu behalten. Über diese Etappen tragen wir Proviant, Boot und Ausrüstung mit Zwischenstops in unser Nachtlager, was uns somit für den nächsten Tag erspart bleibt. Die Vorstellung von einem gemütlichen Lager hält uns auf den Beinen und die Dunkelheit treibt uns vor sich her. Wir flitzen vollbepackt wie emsige kleine Arbeitstierchen hin und her über die Wiese.

Sternenhimmel und Hundegeheul

Das Camp ist schnell in gewohnter Zusammenarbeit aufgebaut – da bringen uns auch die zwei Jahre Leerlauf seit unserem letzten gemeinsamen Paddelabenteuer nicht aus dem Takt. Als wir alles eingerichtet haben, sind wir verschwitzt, aber wir fühlen uns wohl und frei. Um ein Feuer zu machen, sind wir nun zu müde. Die Nacht ist tiefschwarz und steht wie eine hohe Wand um unser kleines Lager. Nur weiter oben, wo die Berge sich vom Himmel absetzen, stehen unzählige Sterne am Himmel. Von hier unten aus dem Tal scheinen sie noch heller als sonst zu funkeln. Von nicht weit weg schallt Hundegeheul zu uns herüber – in der Nähe muss ein Dorf sein. Dazu antwortet manchmal ein vereinzeltes Heulen. Es klingt anders als das der Hunde im Tal und kommt von einem der umliegenden Berge. Wir wissen nicht, was es ist, aber es passt zu unserer Stimmung, nun endlich draußen angekommen zu sein, in der echten Welt.

Einem ungewissen Tag entgegen

Vor dem Schlafengehen gibt es noch Tierfigurensuppe aus der Tüte. Danach gehen wir satt und müde ins Zelt. Wir bemühen uns noch um einen sinnvollen Logbucheintrag und schreiben eine Tageszusammenfassung. Dabei können wir unsere Position auf etwa zwölf Kilometer unterhalb von Liberec in der Nähe von Bily Kostel nad Nisou bestimmen. Somit wissen wir jetzt, dass wir uns in etwa dort befinden, wie wir es uns in der Planungsphase erhofft hatten. Zufrieden und voller Erwartung schlafen wir ein; tiefe Müdigkeit hat uns übermannt. Jetzt ist nur noch unser Fahrer, der tollkühne Manfred, auf den einsamen Strassen der Lausitz unterwegs, und so denken wir an ihn und an einen ungewissen neuen Tag, auf den wir schon so lange gewartet haben.

Hart an der Grenze, Tag 2 >>>

Mehr über die Neiße

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